Vom Vereinshaus zur St. Michael-Kirche

Die Kirchengemeinde Wietze - Steinförde wird selbstständig

Vor mehr als einhundert Jahren begann die Geschichte der Kirchengemeinde Wietze als eigenständige Gemeinde. Mit der steigenden Einwohnerzahl wurde zunächst ein eigenes Gotteshaus gebaut, in den 1920er Jahren die Unabhängigkeit von Winsen erlangt und schließlich das heutige Kirchengebäude errichtet, dessen 50jähriges Bestehen in diesem Jahr gefeiert wird.

Während bereits 1381 in einer Steuerliste des herzoglichen Vogtes vom alten Schloss in Celle zwei Bauernhöfe und eine Mühle im Gebiet des heutigen Wietze erwähnt werden, wissen wir über Kirchliches wenig. Die beiden Höfe und die Mühle waren dem Herzog in Celle zinspflichtig. Im 16. Jahrhundert begann sich die heutige Bezeichnung "Wietze" herauszubilden. Der kleine Ort umfasste zu dieser Zeit zehn Haus- und Hofstellen. Die Bewohner wurden von vom größeren Nachbarort Winsen an der Aller aus kirchlich mitbetreut, in dem sich auch die Amtsvogtei als Verwaltungssitz befand. Sie lebten hauptsächlich von der Landwirtschaft. Als 1652 so genannte "Teerkuhlen" an der Erdoberfläche erschienen, ergab sich die Möglichkeit zu einem Zuverdienst. Eine geologische Besonderheit ließ an den Seiten von sich aufwölbenden Salzstöcken Rohöl aufsteigen, das als Schmiermittel für Wagenräder und auch als Medizin in die nähere Umgebung verkauft wurde.

Etwa um 1800 entstand ein weiterer Ortsteil zwischen der Wietzer Mühle und dem alten Dorf, das als "Klein-Wietze" bezeichnet wurde. Hier siedelten sich kleinere Höfe und die ersten Handwerker an. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts wuchs das landwirtschaftlich geprägte Wietze nur langsam, was sich mit dem Beginn der Erdölindustrie änderte. Nun wurde nach Öl gebohrt, später kam die bergmännische Gewinnung von Öl hinzu. Der schnell steigende Bedarf nach Erdöl als Leuchtmittel, in der Industrie, zum Antrieb von Verbrennungsmotoren und schließlich in der chemischen Industrie hatte einen neuen Markt geschaffen. Der Zuzug von zahlreichen Arbeitskräften machte die Errichtung von Wohnungen nötig: der nächste Ortsteil "Neu-Wietze" entstand. Waren bis 1895 noch alle 150 Einwohner Wietzes evangelisch-lutherischen Glaubens, bekannten sich 1926 viele der inzwischen 1020 Einwohner zur römisch-katholischen oder zur neuapostolischen Kirche.

Bereits um 1900 existierte der Plan, für die wachsende Gemeinde und ihre Nachbardörfer eine eigene evangelische Pfarrstelle und einen kirchlichen Raum einzurichten, der aber zunächst nicht umgesetzt werden konnte. Die Pfarrkirche St. Johannes des Kirchspiels Winsen blieb der Ort für Gottesdienste und kirchliche Handlungen oder Beurkundungen. Im Jahr 1907 wurde für Wietze und Steinförde mit ihrer wachsenden Bevölkerung[2] ein „Hilfspfarrer“ eingestellt: Pastor Paul Isenberg, an den ein kleiner Weg in Wietze erinnert, übernahm die Seelsorge. Sein Wunsch war ein „Betsaal“, dessen Verwirklichung er energisch betrieb. Ein Verein wurde gegründet, der die Planungen übernahm und schließlich in der Nähe des damaligen Bahnhofs mit privaten Spendengeldern ein Gebäude errichtete, das etwa 200 Gottesdienstbesuchern Platz bot. Auch für eine Bibliothek, Bibelstunden, Familienabende und Vereinstreffen war nun Platz.

In seiner Ausgabe vom 11. Oktober 1908 berichtete der "Heimat-Bote", das Monatsblatt für die Kirchengemeinde Winsen (Aller), anschaulich von der Vereinsgründung: "Der neue Verein: "Evangelisch-lutherisches Vereinshaus in Wietze", dessen Gründung schon länger in Aussicht gestellt war, ist jetzt in das Vereinsregister des Amtsgerichts in Celle eingetragen. Er ist nunmehr Besitzer des durch private Mittel aus unserm Hilfspfarrbezirk Wietze gebauten Vereinshauses. In seinem Vorstande sind P. coll Paul Isenberg in Steinförde, Direktor A. Weikert in Wietze, Lehrer Ernst Meinshausen in Steinförde, Abbauer Wilhelm Rahte in Steinförde, Hofbesitzer H. Heuer in Wietze und Hofbesitzer Ferd. Lüßmann in Wietze. Der Vorstand hat die Statuten des Vereins und eine Einladung zum Beitritt in den 5 Dörfern verbreitet, und es hat den Anschein, als würden die weitesten Kreise aller Stände des Gemeindebezirks sich hieran beteiligen, wie es bei der großen Wichtigkeit dieser Sache für uns ja auch zu erwarten war. In der Generalversammlung hat jedes Mitglied gleiches Stimmrecht. - Gott fördere das Werk unserer Hände!"

1300 Mark waren bereits durch private Spenden gesammelt worden und auch die Kollekten in Winsen trugen in der Folgezeit dazu bei, die "Bauschuld" des Vereinshauses abzutragen. Im Gabenverzeichnis des Heimat-Boten sind als weitere Spenden genannt: "Außerdem wurde für das Vereinshaus in Wietze geschenkt: die Abendmahlsgeräte in Silber, ein Paar Altarleuchter in Bronze, ein großes Kruzifix, die Altarbibel, der Altarbehang und Altarteppich, eine gestickte Tischdecke für die Sakristei, die elektrische Beleuchtungsanlage nebst Kronleuchter und das Licht selbst, das Harmonium, 3 Bilder, 2 Opferbüchsen, ein Klingelbeutel, 2 Traukissen", sodass das Vereinshaus nun für seine Gottesdienste gut ausgestattet war. Später kamen hinzu: "Außerdem wurden für das Vereinshaus geschenkt ein Taufbecken, Nummerntafeln, ein zweites Paar Opferbüchsen und eine Weihnachtskrippe."

Die Einweihung fand am 10. Dezember 1908 statt. Von dem erfolgreichen Unternehmen berichtete Pastor Isenberg begeistert und schwärmerisch im Heimat-Boten vom 13. Dezember 1908: "Dieses Jahr darf nicht still zu Ende gehen, sondern auch im "Heimatboten" muß etwas von dem Dank und der innigen Freude stehen, den wir Christen, wir Liebhaber des Gotteswortes in unserem Bezirk, am Schlusse dieses Jahres fühlen, so daß unsere Augen oft glänzen vor Glück und unser Mund lacht; unser Vereinshaus ist geweiht! Schmuck und lieblich steht es da. Sein Türmchen grüßt weit in die Felder hinaus. Und wenn man von Wietze über die Bahn kommt, wie eine Glucke, so sorglich liegt es da unter den grünen Eichen." Isenberg verschweigt auch nicht die kritischen Stimmen, die es zu Beginn gab - wohl eine häufige Begleiterscheinung bei kühnen Ideen und Unternehmungen! Die Absicht des Baus war, vor allem den Neuzugezogenen, aber auch den Alteingesessenen der Gemeinde einen gut erreichbaren Ort zu bieten, an dem "gründlicher und häufiger" gepredigt werden konnte.

Die Einweihungsfeierlichkeiten schilderte Isenberg im Heimat-Boten vom 17. Januar 1909. Nach dem Abendschichtwechsel auf dem Bahnhof von Wietze strömten die Besucher zum Vereinshaus. "Die kleine Schar des jungen Wietzer Posaunenchors" begleitete die Lieder der Bibelstundengemeinde, die am Vorabend das neue Gebäude besichtigte. Am folgenden Tag, dem 10. Dezember, fand die offizielle Einweihung statt. Unter anderen waren die Pastoren aus Winsen und Celle anwesend, ein Vertreter des Architekten Börgemann aus Hannover, der Landrat aus Celle, Generalsuperintendent Möller aus Hannover und viele weitere Gäste. Nachmittags um 15 Uhr begann der zweistündige Einweihungsgottesdienst im "beengend vollen Haus." Bis zum Bau der St. Michael-Kirche mehr als fünfzig Jahre später fanden hier die kirchlichen Handlungen statt, an die sich viele Wietzer noch erinnern: Taufen, Konfirmationen und Hochzeiten. Zahlreiche Urkunden und Fotos sind aus dieser Zeit aufbewahrt worden.

Weitere Spenden ermöglichten den Einbau eines Buntglasfensters zwei Jahre später und die Anschaffung eines Glockengeläutes im Jahr 1914.

"Am Mittwoch, den 4. März sind unsere drei großen Kirchenglocken angekommen. der kleine Freundeskreis des blauen Kreuzes zog gleich nach Ankunft des Güterzuges im Abenddunkel hinaus und bekränzte die drei silberweiß leuchtenden Ankömmlinge. Am andern Tage erfolgte unter vielen Mühen die Verladung und nun stehen sie im Vereinshausgarten und warten bis der Glockenstuhl fertig montiert ist, was in wenigen Tagen geschehen sein soll." (Heimat-Bote vom 15. März 1914).

1911 wurde ein kirchlicher Friedhof angelegt. Die formale Ablösung von der Muttergemeinde in Winsen erfolgte am 1. April 1921: Wietze-Steinförde wurde eine eigenständige Kirchengemeinde.

Ende des Zweiten Weltkrieges wuchs die Bevölkerung Wietzes durch die Ansiedlung zahlreicher Ostflüchtlinge und Ausgebombter aus den nahen Großstädten erneut stark an. Wietze war von Zerstörungen weitgehend verschont geblieben. So wurde das „Vereinshaus“ zu klein für die vielen Gottesdienstbesucher und es entstand der Wunsch nach einem größeren Kirchengebäude Der wirtschaftliche Aufschwung in den 1950er Jahren ermöglichte den Bau des heutigen, größeren Kirchengebäudes, das mit Mitteln der Landeskirche Hannover, aber wiederum auch dank vieler privater Spender - errichtet werden konnte. Die Grundsteinlegung erfolgte 1961. Benannt wurde die Kirche nach dem Erzengel Michael. Sein Gedenktag Michaelis am 29. September spielte im bäuerlichen Kalender früherer Zeiten eine wichtige Rolle. Am 19. November 1961 wurde das Ehrenmal für die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege auf dem Kirchplatz geweiht. Seit 1964 werden die Gottesdienste in der neuen Kirche gefeiert.

 "Durch Zuzug von Arbeitern besonders aus dem Elsaß und dem Rheinland lebten in Wietze über Nacht etwa 240 katholische Einwohner. Seit 1904 betreute sie seelsorgerisch der Kaplan Clemens Willke aus Celle. Die erste Heilige Messe feierte die kleine Gemeinde am 9. Juli 1905 in Warnekes Saal, von da an im 14tägigen Rhythmus. Zum Gottesdienst nach Wietze kamen auch die Glaubensbrüder aus Winsen. Altar, Kommunionbank und Beichtstuhl hatte die Internationale Bohrgesellschaft Erkelenz gespendet.

1910 begannen die Arbeiten für den "stattlichen" Kirchenbau in Nachbarschaft zum evangelischen Vereinshaus. Bischof Bertram aus Hildesheim weihte das Gemeindezentrum am 9. Oktober 1910. Die Kosten von 38.468,48 Mark waren zum Teil durch Spenden, zum Teil durch kirchliche Einrichtungen gedeckt worden.

Die Pfarrstelle blieb jedoch noch lange bei der Celleschen Muttergemeinde bis Pastor Friedrich Surkemper den ausgedehnten Amtsbezirk 1919 übernahm. Auch Surkemper förderte kulturelle Einrichtungen für die sinnvolle Freizeitgestaltung. Er richtete im Pfarrheim z.B. eine Bibliothek ein und stellte den Kirchenchor auf. Die von ihm mit einer Laienspielschar einstudierten Theatervorführungen, fanden in den Sälen von Warneke und Schuster großen Anklang." (Ehrenwerth 1998, Seiten 62f.)

F. Bergener

Das alte Vereinshaus